09.04.2019: Das Problem mit der „wissenschaftlichen“ Wahrheit
Aufgabe der „Wissenschaft“ ist es, wie es das Wort schon nahelegt, Wissen zu schaffen. Dazu bedient sie sich etablierter Methoden, die die Gültigkeit neu gewonnener Erkenntnisse sicherstellen sollen. In der Medizin spricht man auch von „evidence based medicine“. Dieses Schaffen von Wissen ist in Gefahr.
Zum einen ermöglichen es die „Sozialen Medien“ jedermann, sich ungefragt zu Themen zu äußern, für die eigentlich das tiefere, fachliche Verständnis fehlt. Beispielsweise sind segensreiche Impfungen leichtfertig ins Gerede gekommen, weil u.a. verunsicherte Eltern befürchteten, ihr Kind könne nach einer Masernimpfung autistisch werden. Ein weiteres Beispiel: Eine Überbewertung von möglichen Nebenwirkungen der fettsenkenden Statine hat unlängst die Herausgeber internationaler wissenschaftlicher Fachzeitschriften der Herz-Kreislaufmedizin zu einer gemeinsamen klärenden Stellungnahme veranlasst. Das Stichwort: „fake news“ ist in der Medizin angekommen.
Auf der anderen Seite mag der Druck zu veröffentlichen, der auf Wissenschaftlern lastet, diese dazu veranlassen, fragwürdige Zeitschriften ohne wissenschaftliche Qualitätskontrolle zu wählen, um möglichst rasch und ungestört ihre Publikationslisten zu füllen. Das von öffentlichen Geldgebern empfohlene „Open Access Publishing“, bei dem der Autor die Kosten der Veröffentlichung trägt, hat leider auch eine ganze Industrie von „fake journals“ ins Leben gerufen, deren Zwielichtigkeit sich selbst dem Erfahrenen nicht immer auf den ersten Blick erschließt. Dass in derartigen Zeitschriften letztlich auch erfundene oder manipulierte Studienergebnisse unterkommen, verwundert nicht.
Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) unterhält mit dem Thieme Verlag als wissenschaftliche Fachzeitschrift den englischsprachigen „The Thoracic and Cardiovascular Surgeon“ (ThCVS) sowie einen Open Access Ableger „ThCVSReports“ für Fallberichte.
Die Zeitschrift ist jetzt 65 Jahre alt und seit 40 Jahren im Science Citation Index gelistet. Das macht sie zu einem der ältesten Publikationsorgane auf dem Gebiet der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Von Anfang an wurde auf eine strenge Qualitätskontrolle geachtet, was schon bei einem relativ aufwendigen Begutachtungsprozess der Manuskripte beginnt. Hier wissen die Gutachter nicht, wer die Autoren sind. Es ist nachgewiesen, dass diese Methode für größere Objektivität sorgt.
Ein seit Jahren steigender „Journal Impact Factor“ – ein Maß dafür, wie oft Artikel der Zeitschrift in anderen Arbeiten zitiert werden – gibt der Strategie Recht. Allerdings ist es auch wichtig, mit entsprechenden Seminaren Autoren in Ländern zu unterstützen, die noch nicht eine so alte Publikationskultur, wie sie in Deutschland gegeben ist, haben. Das Team des ThCVS ist dazu immer wieder unterwegs. Leider muss man aber feststellen, dass auch hierzulande die vereinbarten ethischen Codes des Publizierens vermehrt unterlaufen werden.
Die DGTHG wird auch künftig dafür Sorge tragen, dass wissenschaftliche Arbeiten, die in ihrer Fachzeitschrift veröffentlicht werden, den höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Bedingungslose Ehrlichkeit gegenüber den Lesern, besonders aber auch gegenüber den von den Erkenntnissen betroffenen Patienten, ist das oberste Prinzip. Eine vorschnelle Publikation noch nicht solide untermauerter Ergebnisse gilt es in der klinischen Medizin zu vermeiden, damit keine „alternativen Wahrheiten“ geschaffen werden.