29.04.2016: Interdisziplinäre Team-Entscheidungen bei endovaskulären Verfahren
Vortrag Privatdozent Dr. med. Wolfgang Harringer, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG); Chefarzt der Klinik für Herz-, Thorax und Gefäßchirurgie, Städtisches Klinikum Braunschweig, anlässlich des 133. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 27. April 2016 in Berlin:
Neben den konventionellen offenen Operationen am Herzen haben sich in den letzten Jahren zunehmend sogenannte kathetergestützte Eingriffe etabliert. Dabei werden über verschiedene Gefäßzugänge, unter Verwendung von Kathetern, Herzklappen- oder Gefäß-Implantate eingebracht. Diese neuen Entwicklungen haben ohne Zweifel die Möglichkeiten der Behandlung von Herzklappenerkrankungen, aber auch von Aneurysmen (Aufweitungen) der Hauptschlagader, wesentlich erweitert. Insbesondere sind Patientinnen/Patienten, die früher wegen zu hohen Alters oder wesentlicher Begleiterkrankungen nur bedingt einer chirurgischen Therapie zugänglich waren oder gar ausgeschlossen werden mussten, nun behandelbar. Beispielhaft zu nennen sind hier die kathetergestützte Aortenklappen-Implantation (TAVI) zur Therapie der schweren Aortenklappenstenose (Verengung der Hauptschlagader-Klappe durch Verkalkung), das kathetergestützte Mitralklappen-Clipverfahren (MitraClip) bei Undichtigkeit der linksseitigen Vorhof-Kammerklappe und die Ausschaltung von Aussackungen (Aneurysmen) der Hauptschlagader im Brustkorb- und/oder Bauchbereich durch Einbringen innerer Gefäßstützen (sogenannter „gecoverter Stents“). Gerade die TAVI hat in den vergangenen fünf Jahren in der Bundesrepublik eine rapide Zunahme in der Patientenversorgung durchlaufen. Während in diesem Zeitraum die Zahl der isoliert durchgeführten Aortenklappenersatz-Operationen mit circa 10.000 Fällen nahezu konstant blieb, hat die Zahl der TAVI-Prozeduren bis zum Jahr 2014 auf circa 13.000 Eingriffe zugenommen. Die beiden anderen genannten Eingriffsarten unterliegen bislang keiner gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätssicherung nach Paragraf 137 SGB V, so dass keine verlässlichen Daten und Fakten hierzu vorliegen.
Diese Entwicklung hat auch dazu beigetragen, die bereits bei anderen Eingriffen bewährte Vorgehensweise des sogenannten Herzteams auch in diesem Bereich obligat zu etablieren. Dies bedeutet ein noch näheres Zusammenrücken der beteiligten Fachgebiete Herzchirurgie, Kardiologie und auch Anästhesie. Das Herz-Team bezieht sich dabei auf Indikationsstellung, Eingriffsplanung und Durchführung, sowie die umfassende postprozedurale Nachbehandlung gleichermaßen.
Korrekte Indikationsstellung bedeutet hierbei, das für den Patienten geeignete und sicherste Verfahren unter Berücksichtigung der Langzeitergebnisse auszuwählen. Gerade der letzte Aspekt wird gelegentlich vernachlässigt. Für den klassisch-operativen, herzchirurgischen Aortenklappenersatz liegen in der wissenschaftlichen Literatur Publikationen zu Zeiträumen von bis zu 15 bis 20 Jahren nach der Erstoperation vor. Dadurch ist die Sicherheit des Verfahrens nachvollziehbar dokumentiert, während die Langzeitsicherheit, und insbesondere auch Haltbarkeit der implantierten Prothesen, des nun seit knapp fünf Jahren in größerer Breite eingesetzten TAVI-Verfahrens gegenwärtig noch als nur bedingt geklärt angesehen werden können und bei der gemeinsamen Aufklärung der Patienten im Team Berücksichtigung finden müssen.
Während das MitraClip-Verfahren, mit Verbindung der zwei Klappensegel meist in der Mitte der Klappe, als provisorische Lösung anzusehen ist, können viele Fälle von Mitralklappenundichtigkeit herzchirurgisch im anatomischen Sinn vollständig korrigiert werden, und damit als heilbar angesehen werden. Gerade bei Patienten mit sehr hohem Operationsrisiko, stellt das neue Verfahren eine gute Alternative dar, um die Symptome der Patienten zu lindern.
Die Bedeutung des langen Atems in der medizinischen Wissenschaft zeigte sich wieder erst kürzlich auf dem Kongress der amerikanischen Kardiologen (ACC 65th Annual Scientific Session and Expo, April 2–4, 2016; Chicago). So trugen die Autoren der sogenannten STICH-Studie vor, dass ein Überlebensvorteil der Bypasschirurgie gegenüber medikamentöser Therapie bei Patienten mit schwerer koronarer Herzerkrankung und eingeschränkter Herzleistung, der sich nach fünf Jahren nur angedeutet hatte, nach zehn Jahren dann tatsächlich auch statistische Signifikanz erreichte.
Für das TAVI- und MitraClip-Verfahren wurden die notwendigen Voraussetzungen im Juli 2015 durch eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geregelt. Diese Verfahren dürfen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen nur noch in Einrichtungen erbracht werden, die in der Richtlinie für minimalinvasive Herzklappeninterventionen dezidiert festgelegte Struktur-, Prozess- und Personalvoraussetzungen erfüllen. Hierbei ist ein funktionierendes Herzteam der wesentlichste Faktor. Die stets eingeräumte Übergangsfrist endet am 30. Juni 2016. Dabei ist anzumerken, dass bereits vor Inkrafttreten dieser Richtlinie über 95 Prozent dieser Eingriffe entsprechend internationaler Gepflogenheiten unter Herzteam-Bedingungen erfolgten.
Es ist ohne Zweifel durch die konsequente Umsetzung des Herzteam-Ansatzes in der Herzmedizin und die möglichst enge Kooperation der Fachgebiete bei den invasiven Verfahren eine weitere Verbesserung der Patientensicherheit und auch der Therapieergebnisse zu erwarten.
Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) vertritt als medizinische Fachgesellschaft die Interessen der über 1.000 in Deutschland tätigen Herz-, Thorax- und Kardiovaskularchirurgen im Dialog mit der Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
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